Dies ist keine Einführung in die Technik der Psychoanalyse, sondern eine Reflexion ihrer Grundlagen, die bis zu Platons Gastmahl zurückverfolgt werden. Was Freud als „Übertragungsliebe“ behandelt, hat dort seine „Urszene“, die zudem generell das Verhältnis von Philosophie und Psychoanalyse bestimmt.
Der Wettbewerb um die beste Lobrede auf die Liebe erhält seinen entscheidenden Dreh zunächst in der von Sokrates vorgetragenen Erkenntnis, dass die Liebe nicht durch Erfüllung, sondern durch Armut gekennzeichnet ist. Die Liebe wird vom Begehren getragen, was in der Schlusssequenz geradezu performativ verdeutlicht wird, in der sich der betrunkene Alkibiades als eifersüchtiger Liebhaber des Sokrates geriert, von diesem aber, der laut Lacan hier wie ein Analytiker agiert, enttäuscht und an seinen „wahren“ Geliebten Agathon verwiesen wird. Was die zeitgenössische Psychoanalyse unter dem Titel „Gegenübertragung“ als eine auszuräumende Störung behandelt, ist für Lacan als „Begehren des Analytikers“ konstitutive Bedingung für den psychoanalytischen Prozess. Die Konfiguration des Begehrens in einer Generation zeitigt schicksalhafte Konsequenzen in den folgenden, was mit Claudels Dramen gezeigt wird.
Jacques Lacan (1901-1981), ausgebildeter Mediziner mit dem Schwerpunkt Psychiatrie, praktizierender Psychoanalytiker seit 1938, hat nach Kriegsende insbesondere in seinem Seminar (1953-1980) als einer der führenden Ausbilder und theoretischen Köpfe der französischen Psychoanalyse gewirkt. 1963 wurde Lacan als Lehranalytiker aus der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung ausgeschlossen und gründete 1964 seine eigene École Freudienne de Paris, die er 1980 auflöste.